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Schweizweite Opferzahlen 2021

Am 18. Oktober, dem Europäischen Tag gegen Menschenhandel präsentierte die Plateforme Traite die aktuellsten schweizweiten Zahlen zu Opfer von Menschenhandel. Die Statistik der Plateforme Traite bezieht sich auf Personen, die die vier Fachstellen direkt beraten haben und als Opfer von Menschenhandel identifizieren konnten.

Anzahl der Opfer von Menschenhandel in der Schweiz steigt markant

Im Jahr 2019 haben die vier Beratungsstellen der Plateforme Traite zum ersten Mal ihre Fälle zusammengetragen. Damals wurden 142 Opfer neu identifiziert. Zwei Jahre später ist diese Zahl um 50% gestiegen: 2021 haben die Beratungsstellen 207 neue Opfer von Menschenhandel identifiziert. Insgesamt wurden 492 Opfer betreut, beraten und begleitet.

Der überwiegende Teil der Opfer sind Frauen (81%). Der Anteil der Männer, die Opfer von Menschenhandel wurden, hat im letzten Jahr zugenommen (von 13% auf 19%).

Rund zwei Drittel aller betroffenen Personen wurden sexuell ausgebeutet. Betroffene von Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft sowie Menschenhandel zwecks krimineller Handlungen stellen das andere Drittel dar. Sie wurden u.a. in Privathaushalten, in der Gastronomie, in Nailstudios, im Baugewerbe, in der Bettelei ausgebeutet oder gezwungen illegale Handlungen wie Diebstahl zu begehen.

Insgesamt kamen die Opfer aus 55 verschiedenen Ländern. Die häufigsten Herkunftsländer der neu identifizierten Opfer waren Nigeria, Rumänien, Brasilien und Ungarn. 40% der Opfer stammen aus afrikanischen Ländern, 30% aus europäischen, 17% aus asiatischen und 12% lateinamerikanischen Ländern.

Gründe: Mehr Sensibilisierung, aber auch höhere Prekarität

Die Beratungsstellen sehen vor allem zwei Gründe für diesen starken Anstieg der Opferzahlen:

1. Dank der Arbeit der Beratungsstellen der Plateforme Traite wird die Problematik Menschenhandel bekannter. Die Beratungsstellen sensibilisieren und schulen seit vielen Jahren Fachpersonen in Schlüsselrollen, bei der Polizei, im Asylwesen und im Sozial- und Gesundheitsbereich und sie bauen enge Kooperationen ihnen auf. Mehr Opfer werden deshalb erkannt und an uns verwiesen.

«Je besser die relevanten Akteur*innen auf Menschenhandel geschult sind und zusammenarbeiten, desto eher werden Opfer erkannt und mit den spezialisierten Beratungsstellen vernetzt.»

Angela Oriti, Geschäftsführerin Astrée

2. Die Zunahme der Opferzahl kann auch auf eine Zunahme von Menschenhandel generell hindeuten. Die Pandemie hat die Vulnerabilität von vielen Menschen verschlimmert. Viele der beratenen Opfer von Menschenhandel wurden ausgenutzt, weil sie sich in einer wirtschaftlich prekären Situation befanden, die durch die Einschränkungen während der Pandemie verschlimmert wurde. Gleichzeitig sind die Migrationsmöglichkeiten für wenig qualifizierte Personen immer eingeschränkter.

«Armut und die Schwierigkeit legal zu migrieren machen Menschen verletzlich und ausbeutbar, und in der Not müssen sie sich auf von Menschenhändler*innen einlassen.»

Lelia Hunziker, Geschäftsführerin FIZ Fachstelle Frauenhandel & Frauenmigration

Empfehlungen an die Politik

Die Zahlen (Anzahl, Herkunft, Ausbeutungsart) zu den Opfern sind kantonal sehr unterschiedlich. Dort wo es spezialisierte, gut finanzierte und anerkannte Opferschutzorganisationen gibt, ist es für die Betroffenen einfacher Zugang zu Schutz und Unterstützung zu erhalten und die Täter*innen zu verfolgen. Die Plateforme Traite fordert deshalb, dass die Schweiz sicherstellt, dass in allen Kantonen spezialisierte Schutzstrukturen mit einer angemessenen Finanzierung etabliert werden.
(Siehe dazu unsere Medienmitteilung vom 22. September 2022.)

« Die Zunahme an identifizierten Opfern ist eine Herausforderung für die Beratungsstellen der Plateforme Traite. Der Bund und die Kantone müssen dem Rechnung tragen in ihrer Unterstützung für die schon bestehenden Opferschutzorganisationen.»

Leila Boussemacer, Anwältin für Opfer von Menschenhandel bei CSP Genève

«Die Schweiz muss sicherstellen, dass die Opfer in allen Kantonen Zugang zu ihren Rechten haben, wie sie in der Europaratskonvention zur Bekämpfung von Menschenhandel festgeschrieben sind. Die Schweiz hat diese Konvention unterschrieben und muss darum auch Verantwortung übernehmen, dass sie in der ganzen Schweiz umgesetzt wird.»

Monica Marcionetti, Antenna MayDay SOS Ticino
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